Liebe Frankfurter*innen, liebe Freund*innen, liebe Mitstreiter*innen,
Rassismus bei der Polizei, Justiz und staatlichen Behörden ist für viele rassifizierte Menschen, also für Menschen die Rassismus erfahren, Alltag.
Denken viele bei Polizeigewalt an die Willkür der Polizei auf Demonstrationen, wie bspw bei G20 in Hamburg, also an einzelne Episoden, stellt Polizeigewalt für viele Menschen in Deutschland doch einen alltäglichen Ausnahmezustand dar.
Ständige Polizeikontrollen, unangemessene Taschenkontrollen und Durchsuchungen im öffentlichen Raum, Platzverweise und öffentliche Demütigung, immer wieder brutale Behandlung durch Polizei und Sicherheitsbeamte prägen den Alltag von Schwarzen Menschen, Menschen of Color, Migrant*innen, Roma, armen und wohnungslosen Menschen, Sexarbeiter*innen, vielen queers und transgender Personen, in Deutschland und in Frankfurt.
Ganze Stadtviertel wie das Bahnhofsviertel werden kriminalisiert und geraten immer mehr in den Fokus einer hoch gerüsteten und erniedrigenden Ordnungspolitik. Besonders rassifizierte Bewohner*innen werden täglich diskriminiert und erniedrigt.
Diese Praktiken sind dabei nicht einfach der Ausdruck einer rassistischen Einstellung einzelner Polizeibeamter, vielmehr handelt es sich dabei um institutionelle Formen des Rassismus, die durch die Gesetzgebung befördert werden.
So bilden die sogenannten „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ nach dem Polizeirecht des Bundes und der Länder die rechtliche Grundlage für Racial Profiling, also für Identitätskontrollen und Durchsuchungen ohne konkrete Indizien auf der Grundlage von äußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe, vermeintlicher Zuschreibung von Herkunft, Sprache, Religion oder unterstellter Staatszugehörigkeit.
Der rassistische Gehalt dieser Kontrollen wird von den Behörden geleugnet, dabei sind sie verfassungswidrig und werden von verschiedenen Menschrechtsorganisationen, u.a. der UN-Menschenrechtskommission aufs Schärfste kritisiert.
Es handelt sich um strukturelle Menschenrechtsverletzungen mit erheblichen physischen und auch psychischen Folgen. Herabwürdigung, Schikanierung, Demütigung, körperlicher und psychischer Missbrauch, Täter-Opfer-Umkehr, aber auch Todesfälle sind die Konsequenz dieser rassistischen Polizeipraxis.
Racial Profiling tötet. Laye Condé, Oury Jalloh, Dominique Koumadio, N’deye Mariame Sarr und Christy Schwundeck, die hier in einem Jobcenter im Frankfurter Gallus am 19. Mai 2011 von einer Polizistin erschossen wurde, sind nur einige der Menschen, die durch rassistische Polizeipraxen ums Leben gekommen sind.
Racial Profiling erklärt Opfer zu Tätern. Die polizeilichen Ermittlungen gegen die Angehörigen der Opfer der rassistischen und neonazistischen Mordserie des NSU zeigen auf erschütternde Weise, wie leicht Polizei und Justiz Opfer zu Tätern machen können. Hier wird eine weitere Dimension des institutionellen Rassismus in Polizei und Justiz deutlich.
In der Stadtgesellschaft so wie in der bundesdeutschen Debatte bleiben die Erfahrungen dieser gewaltvollen Praxis oft unsichtbar. Die Betroffenen werden nicht gehört, die institutionelle Dimension des Rassismus nicht gesehen.
Vor diesem Hintergrund haben wir am 15. März die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt, ihre vielfältigen Auswirkungen, die Erinnerung an die Opfer, und die Widerständigkeit von Menschen, die diese Praxen erfahren müssen, ins Zentrum gestellt. Denn wer Rassismus verstehen und bekämpfen will, muss damit beginnen, die Perspektiven von denen ernst zu nehmen, die Rassismus erfahren.
Die Kämpfe und Widerstände gegen rassistische Polizeipraxen sind vielfältig. Schwarze Menschen, Menschen of Color, Roma, Migrant*innen, Menschen mit Fluchterfahrung, queere und trans*gender Personen, berichten und bekämpfen schon seit Jahrzehnten rassistische Polizeipraxen und fordern so die strukturelle Normalisierung und Banalisierung heraus.
Die Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP) dokumentiert bereits seit 2002 rassistisch motivierte Polizeiübergriffe und hat aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung einen Rechtshilfefonds organisiert, der es Betroffenen ermöglicht, sich auch rechtlich gegen rassistische Polizeipraxen zur Wehr zu setzen.
Initiativen wie die Initiative im Gedenken an Oury Jalloh verweisen im Rahmen ihres Kampfes für Aufklärung und Gerechtigkeit für Oury Jalloh und andere Menschen, die im Polizeigewahrsam zu Tode gekommen sind, auch darauf, dass Racial Profiling und Rassismus bei der Polizei strukturell verankert sind.
Geflüchtetenselbstorganisationen zeigen in ihren Kämpfen für die Rechte geflüchteter Menschen und Migrant_innen auf, dass der Nexus von Migration und Kriminalisierung rassistische Polizeipraxen legitimiert und ihm damit auch Vorschub leistet.
Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz im Jahr 2012 haben KOP und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) die bundesweite Kampagne „Stop Racial Profiling“ gestartet, der sich bundesweit viele rassismuskritische Gruppen angeschlossen haben.
Wir von copwatch-ffm, die den 15. März mitinitiiert haben, dokumentieren Fälle von Racial Profiling in und um Frankfurt und haben dafür eine Telefonhotline sowie eine Infostelle zur Unterstützung eingerichtet, an die sich sowohl Betroffene als auch kritische Gegenbeobachter_innen wenden können, um Racial Profiling zu dokumentieren, sichtbar zu machen und sich gemeinsam zu wehren.
Ausgehend von den Erfahrungen haben wir am 15. März mit Performances, einer Gedenkveranstaltung, Videoinstallationen und einer Podiumsdiskussion den Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt, uns, Gehör verschafft und kreative Widerstände sichtbar gemacht.
Wir haben uns dazu entschieden, dies am 15. März dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt, zu tun. Der 15. März wurde im Jahre 1997 von der kanadischen Initiative Collectif Opposé à la Brutalité Policière (C.O.B.P.) gemeinsam mit der Schweizer Gruppe »Black Flag« initiiert, nachdem in der Schweiz zwei Kinder im Alter von elf und zwölf Jahren Opfer von Polizeigewalt wurden. Der Tag ist dem Gedenken der Betroffenen und Opfer von Polizeigewalt gewidmet und wird weltweit von Menschen in Kanada, Mexiko, den USA, Nigeria, Kolumbien, der Schweiz und Spanien begangen. In den vergangenen Jahren hat vor allem die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) eine Vorreiterrolle eingenommen, um den Tag im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland zu etablieren.
Nach Berlin begehen wir den Tag nun auch in Frankfurt und legen den Fokus auf Rassismus und seine verschränkten Diskriminierungsformen, denn gerade mehrfachdiskriminierte Personen sind besonders verletzlich für Polizeigewalt. Der Kampf gegen Racial Profiling muss daher immer intersektional sein.
Lasst uns gemeinsam diskutieren und kreativ gegen rassistische Polizeiarbeit intervenieren. Und lasst uns über Alternativen zu Polizei sprechen und nachdenken. Denn, für viele Menschen bedeutet Polizei nicht Sicherheit, sondern Bedrohung, somit steht sie nicht für den Erhalt, sondern die Bedrohung einer Gesellschaft der Vielen. Lasst uns gemeinsam intervenieren und für eine Gesellschaft und Welt einstehen in der Gerechtigkeit und Sicherheit nicht durch Gewalt hergestellt wird, eine Gesellschaft ohne Polizei.
Das Bündnis 15MRZ
(Bahnhofsviertel Solidarisch, copwatch frankfurt, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) Frankfurt, Kafä Kollektiv, KNAS [] Initiative für den Rückbau von Gefängnissen, LOS! – Offenbach Solidarisch, Rote Hilfe Frankfurt)