Station Societätsdruckerei

Mainzer Landstr. / Societäts-Druckerei
11. April 1968: Nach dem Attentat des Neonazis Bachmann auf den Sprecher des SDS, Rudi Dutschke, in Berlin finden international Protestaktionen und in der gesamten BRD die größten innenpolitischen Unruhen seit 1945 statt. In Frankfurt läuft noch am Abend des Attentats eine Spontandemo von der Uni zum Hauptbahnhof, die zum Schauspielhaus zieht, das die Polizei später von den diskutierenden Demonstrant*innen räumt.
Am nächsten Tag, dem Karfreitag (12.4.1968) kommt es zur Blockade der Societätsdruckerei, in der die BILD-Zeitung für die Region gedruckt wird. 2.000 Menschen verhindern die Auslieferung der Zeitung. Erst nach 10 Stunden gelingt es der Polizei, die recht effektive Blockade des Druckereigebäudes zu brechen; LKWs gelingt es zunächst nicht, das Betriebsgelände zu verlassen.
Am Ostermontag (15.4.1968) findet eine weitere Blockade der Societätsdruckerei nach Ende des Ostermarschs (mit 12.000 Teilnehmern auf der Abschlusskundgebung am Römerberg) vor der Druckerei selbst und am Hauptbahnhof statt. Sie wird durch wilde Knüppeleinsätze, Einsatz berittener Polizei und Wasserwerfer, die mit Flaschen und Steinen angegriffen werden, aufgelöst. Viele OstermarschteilnehmerInnen beteiligen sich an der Blockade. Hans-Jürgen Krahl (SDS Frankfurt) kündigt an, dass die Stadt nicht zur Ruhe kommen werde, wenn sich „die Brutalität der Polizei weiter fortsetze“.
An den sog. „Osterunruhen“ in 26 Städten der BRD beteiligen sich ca. 60.000 Menschen, es kommt zu 1.000 Festnahmen und zahllosen Strafverfahren; in München kommen unter bis heute ungeklärten Umständen zwei Personen, der AP-Pressefotograf Klaus Frings und der Student Rüdiger Schreck ums Leben.

ausführlich:

# Station Societätsdruckerei / Gallus / Frankenallee – Ort der ersten militanten Auseinandersetzung zwischen der antiautoritären Jugendbewegung von 1968 und dem Staat 

11. April 1968: Nach dem Attentat des Neonazis Josef Bachmann auf den Sprecher des SDS, Rudi Dutschke, in Berlin finden international Protestaktionen und  in der gesamten BRD die größten innenpolitischen Unruhen seit 1945 statt, die sog. „Osterunruhen“; für die Protestierenden sind der Springer-Konzern und insbesondere die BILD-Zeitung mit ihrer Hetze gegen Jugendliche und Studierende „letztlich den Urheber der Pogromstimmung gegen die studentischen Rebellen und die übrigen Vertreter der Außerparlamentarischen Opposition“. 

In West-Berlin fordern Vertreter der Außerparlamentarischen Opposition (APO) den Rücktritt des Senats als Vorbedingung, um „demokratische Verhältnisse“ in der Stadt zu schaffen. „Unverzügliche Enteignung Springers und Schaffung eines Rates aus Arbeitern, Angestellten, Studenten und Schülern, der Pläne dafür ausarbeitet, wie die Produktionsmittel dieses Konzerns in den Dienst einer demokratischen Öffentlichkeit gestellt werden können.“ 

In Frankfurt findet noch am Abend des Attentats eine Spontandemo von der Uni zum Hbf. statt, die weiter zum Schauspielhaus zieht. Das Gebäude wird im Laufe des Abends durch die Polizei von den diskutierenden Demonstranten räumt.

Am Karfreitag (12.4.1968):  1. Blockade der Societätsdruckerei Ffm, Druckort der BILD-Zeitung für die Region, durch 2.000 Menschen, die die Auslieferung der Zeitung zu verhindern suchen. LKWs gelingt es zunächst nicht, das Betriebsgelände zu verlassen. Erst nach 10 Stunden gelingt es der Polizei, die recht effektive Blockade des Druckereigebäudes zu brechen. 

Innerhalb  der Außerparlamentarischen Bewegung sind die neuen militanten Aktionsformen gleichwohl umstritten.  Nach den Aktionen vor der Druckerei versuchen in einer „Strategiedebatte“ im Club Voltaire „ältere Teilnehmer“ in der Diskussion, v.a. den pazifistischen Vertretern der ‚Kampagne für Demokratie und Abrüstung‘ (KfDA),  die anwesenden SDS-Vertreter von einer weiteren Blockade abzubringen. Für das KfDA, die den Ostermarsch in Frankfurt organisiert, sind die „Osteraktionen“ der militanten Jugendlichen und Studierenden nur Ausdruck einer „Scheinradikalisierung“ und der wenig „realitätsbezogenen“ „Begeisterung für Guerilla-Romantik“, „revolutionäre Subkultur“. Andreas Buro (KfDA, später SB-Mitglied) geht davon aus, dass es im Interesse der BRD-Regierung läge, gewalttätige Konfrontationen mit der APO herbeizuführen, die bis zur völligen Zerschlagung der außerparlamentarischen Opposition führen und sie völlig isolieren können.“ 

Dagegen ruft ein ‚diskus‘-Extrablatt („Arbeiter-Schüler-Studenten-Zeitung“:  „Die Herrschenden riefen zur Gewalt auf – Bachmann schoß“) dazu auf, auch in Ffm weiterhin die Auslieferung der Springer-Zeitungen zu verhindern. Ihr Motto ist: „BILD hat mitgeschossen“. „Die Beseitigung Dutschkes wurde seit langem von Politikern und der Springer-Presse provoziert“.  Als Perspektive für die Bewegung erklärt einer der Autoren, Jakob Moneta: „Nur wenn es gelingt, die Massen in Bewegung zu setzen, kann man auch in der Geschichte die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen mit einem Minimum an Gewalt durchführen.“ 

Eine weitere Blockade der Societätsdruckerei findet am Ostermontag (15.4.1968) nach Ende des Ostermarschs (mit 12.000 Teilnehmern auf der Abschlusskundgebung am Römerberg) vor der Druckerei selbst und am Hbf. statt. Sie wird durch wilde Knüppeleinsätze, Einsatz berittener Polizei und Wasserwerfer aufgelöst, die wiederum mit Flaschen und Steinen angegriffen werden. Viele OstermarschteilnehmerInnen beteiligen sich an der Blockade. Hans-Jürgen Krahl für den SDS Frankfurt kündigt an, dass die Stadt nicht zur Ruhe kommen werde, wenn sich „die Brutalität der Polizei weiter fortsetze“. Auf dem Römerberg fordern Demonstranten den Rücktritt von OB Brundert (SPD) und Polizeipräsident Littmann wegen der „unvorstellbaren Prügelszenen“ (so die FR); die beiden Sozialdemokraten verteidigen den Polizei-Einsatz.  Aber selbst einige SPD-Vertreter (z.B. der Stadtrat und spätere Frankfurter OB Möller) gehen auf Distanz zum Polizeieinsatz, kritisieren aber auch  „Gewalt“ und „Provokationstheater“ (Walter Möller) der Blockierenden. „Weder die Konzentration der Presse noch der Inhalt der Bild-Zeitung könnten Anlaß zu einer Revolution sein.“ So seine Reaktion auf die Äußerung von Krahl, der für die „Zerschlagung der Institution“ kämpft und erklärt hatte, die „Menschen müßten sich im Kampf selbst befreien“.  

„In den Schlachten vor der Societätsdruckerei und im Gallusviertel begann sich für die Studenten die Notwendigkeit des Übergangs vom Protest zum Widerstand, von der Gewaltlosigkeit zur Gegengewalt sehr viel praktischer zu zeigen als bei den monatelang vorangegangenen Diskussionen in der Universität, ohne die allerdings die Praxis der organisierten Gegenaktion gar nicht möglich gewesen wäre. Die Vermittlung zu den Jungarbeitern  gelang in den Straßenschlachten recht schnell – denn Arbeiter protestieren nicht – sie kämpfen. … Allerdings hat auch die Osterrevolte die Jugendlichenschwelle nicht überschritten. Bei den älteren Arbeitern sind die Erfahrungen des Faschismus und Revisionismus eine zu tiefgehende Kruste, als daß sie in kurzer Zeit aufzubrechen wäre.“ (so Detlev Claussen/SDS Frankfurt  in: Universität und Widerstand 8)

An den sog. „Osterunruhen“ gegen Springer und BILD in 26 Städten der BRD beteiligen sich ca. 60.000 Menschen, es kommt zu 1.000 Festnahmen und zahllosen Strafverfahren; in München kommen unter bis heute  ungeklärten  Umständen zwei Personen, der AP-Pressefotograf Klaus Frings und der Student  Rüdiger Schreck ums Leben. Im Kampf gegen die Notstandsgesetze setzte die APO den Widerstand gegen die autoritäre Formierung des BRD-Staats und die Große Koalition fort. Vordergründig ohne Erfolg – die BILD-Zeitung erschien weiter, die Notstandsgesetze wurden im Mai 1968 von der GroKo verabschiedet -, aber zugleich prägend für die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Systemopposition in den kommenden Jahrzehnten.