Rede zum 18. März vor dem Knast Preungesheim
Schön, dass ihr alle gekommen seid, um heute am Tag der Solidarität mit unseren gefangenen Genossinnen und Genossen gemeinsam gegen staatliche Repression und autoritäre Formierung zu demonstrieren. Diese herrschenden Verhältnisse im Kapitalismus wollen und müssen wir Aufruhr und Widerstand entgegensetzen. Damit wir sie zum Tanzen bringen. Heute, jeden Tag und immer! Denn staatliche Repression und der ganze autoritäre Dreck ist tief in die sozialen und politischen Verhältnisse eingeschrieben. Es ist eine nicht endende Geschichte: Von der „wehrhaften Demokratie“ des Adenauer-Regimes, dem „Modell Deutschland“ der 1970er-SPD mit Berufsverboten, Zensurparagrafen, Isolationsfolter und Sondergesetzen gegen links, dann dem so genannten „Krieg gegen den Terrorismus“ der 2000er mit weltweitem Foltersystem und Stasi 2.0… bis heute.
Ja, eigentlich ist uns klar, dass es dort, wo radikale Gegner*innen der kapitalistischen Normalzustände aufhören, diese zu akzeptieren und es deshalb manifesten Widerspruch, Revolte und Widerstand gibt, Verfolgung und Repression nicht ausbleiben. In einer solchen Situation ist gegenseitige Hilfe, Unterstützung – eben das solidarische Zusammenstehen eine Voraussetzung emanzipatorischer Politik. Das meint: Solidarität ist eine unserer wichtigsten Waffen! Sie braucht Gefühl und Härte, Empathie und Haltung – aber kein Mitleid. Unsere Solidarität basiert auf den gemeinsamen Zielen grundsätzlicher gesellschaftlicher Veränderung.
Die gemeinsame Verteidigung gegen Angriffe auf linke Strukturen, Organisierungen und Personen, auf emanzipatorische Politik überhaupt und auf unsere Geschichte ist Ausdruck unseres politischen Selbstverständnisses. Das sollte selbstverständlich sein.
Die sozialen und politischen Rechte für alle sind lokal und global ein umkämpftes Gebiet. Nirgendswo gelten sie für alle, selbst wenn sie als „Grundrechte“ in Verfassungen und UNO-Deklarationen geschrieben stehen. Menschenrechte werden uns nicht auf einem silbernen Tablett serviert. Wir kriegen sie nicht geschenkt. Von keiner Regierung und von keinem Staat, keiner internationalen Institution. Und wurden sie mal erkämpft, können sie uns jeder Zeit wieder eingeschränkt oder genommen werden. Allein deshalb müßte dafür eigentlich jeder Tag ein Kampftag sein.
Weil das aber mehr Wunsch als Wirklichkeit ist, ist der 18. März als Aktionstag auch von dem Gedanken getragen, dass Solidarität mit den Gefangenen aus unseren Kämpfen und den von Repressialien Betroffenen nicht allein Sache von Antirepressionsgruppen und Solikomitees sein kann. Deshalb wurde dieser Tag auch deswegen initiiert, um allen linken Gruppen und radikalen Initiativen die Möglichkeit zu geben, wenigstens an einem Tag gemeinsam auf die Straße zu gehen und solidarisch zu handeln: gemeinsam – solidarisch – widerständig!
Der 18. März als Aktionstag der Solidarität mit politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression knüpft dabei an die Tradition der Arbeiter*nnenbewegung an.
In Deutschland steht der 18. März 1848 auch für den proletarischen Aufruhr gegen die alten feudalen Herrscher und auch die neu entstandene Bourgeoisie.
Am 18. März 1848 begannen die Barrikadenkämpfe des vorher unbekannten Berliner Proletariats, das militant gegen das Militär vorging. Doch 1848 steht noch vielmehr für die vollendete Konterrevolution: Das Bürgertum verbündete sich mit der Reaktion. Der revolutionäre Aufbruch wurde blutig niedergeschlagen, das Bürgertum erhielt dafür Wahlen, Nationalversammlung und Verfassung – und 1871 einen Kaiser.
Am 18. März 1871 übernahm die Nationalgarde in Paris die Macht und läutete damit den Beginn der Pariser Commune ein. Die Rache der französischen Bourgeoisie kostete 25.000 Menschen das Leben, 3.000 starben in den Knästen, 13.700 wurden verurteilt, die meisten zu lebenslänglichen Strafen.
Deshalb wurde der 18. März zuerst „Tag der Pariser Kommune“ genannt und war bis in die 1920er Jahre innerhalb der Arbeiter*nnenbewegung jährlicher Gedenktag.
Daran anknüpfend erweiterte 1923 die ein Jahr zuvor gegründete Internationale Rote Hilfe (IRH) den 18. März als „Internationaler Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen“. Mit diesem Tag sollte vor allem das Bewusstsein und die Solidarität für die Lage der politischen Gefangenen weltweit erzeugt und verankert werden und auf diese Weise auch praktisch zum Ausdruck kommen.
Am 18. März gingen fortan in den 1920er Jahren in allen Ländern Menschen für die Opfer politischer Justiz auf die Straße, beispielsweise für die in den USA zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vancetti. Die bis dahin beispiellose internationale Kampagne für Leben und Freiheit der beiden Anarchisten konnte sie zwar nicht vor dem staatlichen Mord retten, zeigte aber die Möglichkeiten internationaler Solidarität auf. Auch, dass Solidarität nur dann mächtig und bewegend wird, wenn es von einem grundsätzlichen solidarischen Verhältnis geprägt ist, mit allen die auf welche Weise auch immer um Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Willkür kämpfen.
Der Faschismus und der von Deutschland ausgehende Weltkrieg machte der Begehung dieses Tages in Deutschland vorläufig ein Ende. 1933 wurde dieser Tag von den Nationalsozialisten verboten.
Erst seit 1996 wird der 18. März auf Initiative von Libertad! wieder als Tag der Solidarität mit den Gefangenen propagiert und begangen. Nach anfänglich breiterer Beteiligung verschiedenster Gruppen und Initiativen der radikalen Linken, ist er in den letzten Jahren vor allem ein Tag, an dem Rote Hilfe- und andere Antirepressionsgruppen handeln.
Anders war es vor drei Jahren hier in Frankfurt: Vermutlich war die Geschichte dieses Tages nicht allen bewusst, als wir am Morgen des 18. März 2015 mit Blockupy gegen die Eröffnung des EZB-Towers in Frankfurt zogen und damit gegen das autoritäre Krisenregime blockierten, sabotierten, demonstrierten. Aber das ist genau die beste Art einen Aktionstag zu begehen. Und in der Parole von „Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie – wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus“ steckt eben genau auch etwas von dem Sinn dieses Aktionstages 18. März: unsere Freiheit, unsere Solidarität gegen die Macht der Herrschenden.
Bleiben wir also dran! Diesen gemeinsamen Solidaritätstag aller um Befreiung kämpfenden Aktivist*innen in Solidarität mit von Repression betroffenen Aktivist*innen sollten wir mit neuem Leben füllen. Deswegen sind wir heute auf der Straße: um unseren Widerstand gegen staatliche Unterdrückung, unmenschliche Behandlung in den Gefängnissen und Polizeirevieren des autoritären Krisenregimes einen starken Ausdruck zu geben. Das Beklagen der grausigen Zustände im Kapitalismus und staatlichen Gemeinheiten reicht eben nicht.
gemeinsam – solidarisch – widerständig
ausführlicher zum Aktionstag 18. März: Klassenkampf & Sonnenschein – Im Handgemenge der Ereignisse