Sommer und Herbst 2015. Manche von euch werden sich noch an die Bilder vom „sommer der Migration“ erinnern: die Fussmärsche, die Lager, die Versuche von Polizei und Militär die Menschen an den Grenzen aufzuhalten. Damals reisten Tausende Menschen von Griechenland informell über Serbien und Ungarn in Richtung Norden.
In der Nacht zum 15. September 2015 war das letzte Stück des ungarischen Grenzzaunes geschlossen worden. Die so genannte Balkan-Route sollte dichtgemacht werden. Für die ankommenden Menschen sind die Stunden dort von Warten geprägt, in der Erwartung, die Reise würde irgendwann doch weitergehen. Die Menge skandiert „No food, no water! Open the Border“, es wird am Zaun gerüttelt und dagegen getreten. Und tatsächlich ist das Tor auch an diesem Tag mehrfach kurz offen und Menschen schlüpfen hindurch. Das daraufhin zur Abwehr eingesetzte Tränengas und die Wasserwerfer der Polizei werden mit Steinwürfen beantwortet, mit Megafonen wird der ungarische Grenzschutz aufgefordert, die Menschen weiterreisen zu lassen, Rauch steigt aus kleinen Feuern empor. Kurzum, es ist eine unübersichtliche und hoch emotionale Ausnahmesituation, Steine fliegen – und die Grenze wird durchbrochen.
Eiinige der so genannten „Grenzdurchbrecher“ werden verhaftet und später in Prozessen verurteilt. Elf Geflüchteten wird der Prozess gemacht. Einer von ihnen, Ahmet H. wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die ungarische Regierung nennt diese Grenzvorfälle nach wie vor „Terrorismus“. Als so geannter „Terrorist“ kann nach ungarischem Recht bis zu 20 Jahren verurteilt werden. Er war am 16. September 2015 an den Protesten gegen die plötzliche Schließung der serbisch-ungarischen Grenze bei Röszke beteiligt. Mit Würfen sowie angeblichen verbalen Drohungen gegenüber der Polizei wurde seine Verurteilung als Terrorist in erster Instanz begründet. Aufgrund von Verfahrensfehlern wurde der Prozess erneut geprüft. Die Verurteilung wurde jetzt vor wenigen Tagen bestätigt – allerdings die Haftstrafe auf sieben Jahre verringert.
Ahmed sitzt nun seit 2,5 Jahren in Budapest im Knast. Erst seit Dezember 2017 darf er einmal monatlich Besuch empfangen – abgeschirmt durch eine Glasscheibe, Gespräche sind nur über ein Telefon möglich. Pro Woche hat er eine Stunde Hofgang, aber Kontakt zu Mitgefangenen ist ihm als „Terrorist“ untersagt. Nur die Zelle teilt er sich mit einer weiteren Person. Auch für die Prozesstage im ungarischen Szeged gelten für ihn besondere Regeln: Er wird stets von zwei maskierten, voll bewaffneten Aufsehern begleitet, mit einem Bauchgurt ist er an einen von ihnen gekettet. Hand- und Fußfesseln vervollständigen das Bild eines hochgefährlichen Mannes. Und das ist politisches Kalkül.
Bereits das Urteil in erster Instanz gegen Ahmed wegen Terrorismus war klar politisch motiviert, Viktor Orbán nutzt es bis heute aktiv zur Legitimation seiner rassistischen Abschreckungspolitik. Die enge Verbindung von „Migration“ und Terrorismus“ bildet nach wie vor ein Hauptnarrativ der ungarischen Regierung.
Jegliche Solidarität mit Ahmed oder positive Bezugnahme auf das Recht auf Bewegungsfreiheit sind der ungarischen Polizei und Regierung ein Dorn im Auge – und werden verfolgt.
Aber Ungarn als hässlichen Einzelfall darzustellen, wäre allerdings falsch. Orbáns Grenzpolitik ist Teil des EU-Grenzregimes. Davon profitiert nicht zuletzt Deutschland mit seiner „Obergrenze“ und den geplanten zentralen Aufnahmelager, den Abschiebeknästen, wie dem kurz von Eröffnungen stehenden in Darmstadt.
Ungarn ist neben der Türkei für die gesamte EU zudem ein verlässlicher Türsteher auf der Balkanroute. Dort packt sie sogar selbst mit an: Frontex-Beamte sichern den ungarischen Grenzzaun.
Bewegungsfreiheit für Alle!
No Frontex!
Freiheit für die Ahmet und die anderen politischen Gefangenen in Ungarn!
www.freetheroszke11.weebly.com