Genau das ist ein Anliegen der heutigen Tour de „Revolte et Repression“.
Schlaglicht – 29. Mai 1993 – Solingen: Um ein Uhr nachts verüben Faschisten einen Brandanschlag auf das Haus der Familie Genc. Drei Frauen und zwei Kinder werden dadurch ermordet.
Der gleiche Tag: 13 Uhr – Frankfurt am Main: Um die 100 Menschen demonstrieren ab der Hauptwache gegen diesen rassistischen Brandanschlag und gegen Nazis. Diese Demonstration wird verboten und durch hunderte von Polizisten beendet. Die Menschen lassen sich aber nicht einschüchtern und beginnen im Bahnhofsviertel einen zweiten Demonstrationsversuch. Auch diesen beendet die Polizei, kesselt viele ein und nimmt 63 Leute fest – durch massive Gewaltausübung. Ein türkischer Demonstrant erleidet mehrere Rippenbrüche – und wird, im damaligen Knast Klapperfeld, erst nach heftigen Protesten aller Festgenommenen, ärztlich behandelt. Rassistische Sprüche und sexistische, erzwungene Entkleidungen, durch die Polizei, betreffen vor allem kurdische und türkische Demonstrierende.
Die Demonstrierenden kamen aus Antifa- und anderen radikalen linken Gruppen. Sie organisierten sich mit vielen Einzelnen, seit dem Herbst 1991 in elf Stadtteilgruppen und betrieben gemeinsam ein antifaschistisches, antirassistisches Info- und Notruftelefon in Frankfurt – unter dem Eindruck schon stattgefundener, rassistischer Pogrome, wie in Rostock-Lichtenhagen, ebenfalls 1991. In einem der ersten Flugblätter stand: „In einer Zeit, in der der Staat, die Medien und ein Teil der Bevölkerung, Menschen aus anderen Ländern zur Ursache ihrer Probleme macht, Faschisten und Faschistinnen offen auftreten, ist es uns wichtig aufzuzeigen, dass es noch Menschen gibt, die rassistische Angriffe und Morde nicht zu einem Teil des Alltags werden lassen.“
Und heute?
Rassistische Angriffe und Morde sind Teil des Alltags. Reaktionäres und Faschistisches sammelt sich auf der Straße bei PEGIDA und in den Parlamenten bei der Partei AFD. Die autoritäre Formierung der Gesellschaft ist jedoch von der herrschenden Politik spätestens seit den 1980er Jahren begonnen worden und beschleunigt sich durch die Rechtsverschiebung. Nicht nur hier – sondern europaweit, weltweit.
Der Kampf der Menschen gegen die Macht ist auch der Kampf der Erinnerung gegen das Vergessen!
Das war die Parole und das Anliegen einer der vorhin genannten Stadtteilgruppen. Die antirassistische, antifaschistische Stadtteilgruppe Bockenheim stellte das DENK-MAL am 14.Mai 1995 auf – im 50. Jahr nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus. Die Figur zerstört das Hakenkreuz und symbolisiert den Widerstand gegen Faschismus, Rassismus und Krieg. Das DENK-MAL wurde tagsüber, ohne behördliche Genehmigung aufgebaut und gewann im Stadtteil sofort viele Sympathien. – Dieser Ort hier, der 1995 weder ein Platz war, noch einen Namen hatte, wurde damit Teil eines täglichen Widerstandes. Und ist bis heute ein Aufruf zum Nachdenken über Vergangenes, Heutiges und wie solidarisches Zukünftiges aussehen könnte.
Seit 1995 wird der Hülya-Platzrege genutzt, von verschiedenen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen.
Mehrmals wurde die Entfernung des DENK-MALs auf unterschiedlichen Wegen verhindert. Und, von wem das DENK-MAL auch immer wieder beschädigt wurde – jedes Mal fanden sich Menschen, die es wieder reparierten.
Seit 1998 finden auf dem Platz und in Bockenheim regelmäßig dieHülya-Tagestatt. Bundesweit gibt es kein anderes DENK-MAL und keinen anderen Platz, der diese Verbindung aufzeigt: die rassistischen Brandanschläge der 1990er Jahre (aber auch heute) und den Widerstand dagegen. Vor fast 25 Jahren wurde Hülya durch diesen Brandanschlag in Solingen ermordet – an Hülyaund alle anderen Ermordetenwird durch diesen Platz erinnert. Wogegen wir zu kämpfen haben, daran erinnert das DENK-Mal.
Und:Seit dem Sommer 2015 treffen flüchtende Menschen aus Hunger, Not und Krieg mit ihrem grenzüberschreitenden Widerstand auf große Solidarität in der hiesigen Gesellschaft, bundesweit. Dieses Gemeinsame erzeugte den notwendigen Druck auf die herrschenden Politik – nur deswegen wurde das Allernotwendigste überhaupt zügig bereit gestellt.
Sowas hatten wir uns in den 1990er Jahren sehr gewünscht. Solch einen Druck braucht es, um viel mehr zu erreichen. Erkämpfen wir uns die solidarische Stadt. Wir brauchen sie. Erkämpfen wir uns eine solidarische Gesellschaft. Ein gutes Leben für alle – überall.
Wichtige Parolen damals waren zum Beispiel:
Wer schweigt, stimmt zu!
Kampf dem Rassismus auf der Straße, in den Behörden und in den Köpfen!
1998 ist auch das Jahr, in dem unsere Genossin Andrea Wolf verhaftet und ermordet wurde – in den Bergen Kurdistans.
Andrea organisierte sich in radikalen linken Gruppen und war an der oben benannten Organisierung von Stadtteilgruppen sowie dem antirassistischen, antifaschistischen Info- und Notruftelefon stark beteiligt.